Heute gehören Silbermond mit mehr als fünf Millionen verkauften Tonträgern zu den erfolgreichsten Bands Deutschlands. Ende vergangenen Jahres hat das Quartett sein fünftes Album „Leichtes Gepäck“ veröffentlicht. Bevor sie am 12. Mai in der Hamburger Barclaycard Arena auftreten, sprachen Sängerin Kloß und Schlagzeuger Nowak mit dem TAGEBLATT über Mut, Minimalismus und der Castingshow „The Voice of Germany“.
Auf dem aktuellen Silbermond-Album „Leichtes Gepäck“ heißt es: „Soweit ich weiß, sind die mit den guten Geschichten immer die Mutigen“. Wann waren Sie das letzte Mal mutig?
Andreas Nowak: Ich hatte immer große Flugangst, aber vor ein paar Jahren habe ich beschlossen, nach Neuseeland zu fliegen. Für mich war das wahnsinnig mutig. Und es hat sich gelohnt: Neuseeland ist ein wunderschönes Land. Ich habe dort vier Wochen Urlaub gemacht und bin mit dem Wohnmobil über die Nord- und Südinsel gefahren.
Und Sie, Stefanie?
Stefanie Kloß: Während wir unser aktuelles Album aufgenommen haben, war meine beste Freundin mit Zwillingen schwanger. Eines Tages, acht Wochen vor dem eigentlichen Geburtstermin, habe ich sie im Krankenhaus besucht. Sie sollte eigentlich nur eine kurze Untersuchung machen, aber das Ergebnis war, dass sie nicht mehr ins Zimmer zurückkam, sondern die Schwester mich in den Kreißsaal rief.
Sie waren bei der Geburt dabei?
Kloß: Nein, denn am Ende hat der Mann meiner Freundin es gerade noch rechtzeitig geschafft. Ich durfte aber in dem Vorraum warten, und das war ein abgefahrener Moment. Es ging alles ganz schnell. Nach einer Viertelstunde kam der Arzt erst mit dem einen und dann mit dem zweiten Baby. Ich fand es wahnsinnig toll, dass ich in diesem Moment bei meiner Freundin sein konnte.
Mutig ist auch Ihr Album: Es überrascht mit ausgetüftelten Gitarren und nachdenklichen Texten. Wie kommt’s?
Kloß: In einer Band zu spielen, ist wie eine Beziehung zu führen: Da schleichen sich manchmal Sachen ein, die man gar nicht richtig in der Hand hat. Als wir unser erstes Album veröffentlicht haben, waren wir 19 und 20 Jahre alt. Da hat man nichts zu verlieren. Damals hatten wir eine gewisse Leichtigkeit. Wir hatten unseren eigenen Kopf und haben gemacht, worauf wir Lust hatten. Auf einmal wurde das Album so wahnsinnig erfolgreich – es folgte die zweite Platte, die dritte und die vierte. Und auf einmal haben wir gemerkt, dass wir nie eine Pause gemacht haben. Dass ganz unbewusst ein gewisser Druck entstanden ist und dabei vielleicht ein paar Sachen auf der Strecke geblieben sind.
Die Leichtigkeit?
Kloß: Genau. Die Leichtigkeit und der Mut. Deswegen haben wir nach dem letzten Album bewusst eine Pause gemacht. Wir haben gemerkt, dass jeder von uns ein bisschen auf der Suche war und Zeit brauchte, um zu gucken, wie man sich in den letzten zehn Jahren verändert und weiterentwickelt hat. Um Ballast abzuwerfen. Deshalb heißt das Album auch „Leichtes Gepäck“. Wir wollten ein Album machen, das dazu passt, wie wir uns jetzt fühlen. Welche Musik wir mögen. Als wir das erst mal entschieden hatten, kamen die Themen ganz von alleine, und das Album entstand mit einer Leichtigkeit, die wir lange nicht mehr hatten.
Für die Aufnahmen sind Sie nach Nashville gereist. Wegen ihrer lebendigen Musik-Szene trägt die Stadt den Spitznamen „Music City“. Hat die Stadt Sie inspiriert?
Nowak: Absolut. Wir waren in einem der besten Studios der Welt, dem Black Bird Studio. Kings Of Leon haben dort schon aufgenommen, Jack White. Als wir den Raum betreten haben, haben wir erst mal alle unsere Handys gezückt und Fotos gemacht. Das ist als wenn ein Koch-Azubi in die Küche von Johann Lafer darf.
Kloß: Nashville ist wirklich unbeschreiblich. Wenn wir zwischendurch mal auf die Straße gegangen sind, um uns einen Kaffee zu holen, kamen wir an einem Studio nach dem anderen vorbei. Musik ist in der Stadt allgegenwärtig.
Nowak: Schon am Flughafen ist eine Gitarre von U2-Gitarrist The Egde ausgestellt. Nashville ist eine Musikstadt. Wer Musik mag, muss da unbedingt mal hin.
Neben der Musik haben Sie, Stefanie, mittlerweile ja einen festen Nebenjob als Jurymitglied der Castingshow „The Voice of Germany“. Was macht Ihnen daran so viel Spaß?
Kloß: Ich habe dadurch wahnsinnig interessante Menschen getroffen. Erfahrene Sänger, die eine neue Chance gesucht haben, aber auch junge Menschen, die einfach ihr Ding gemacht haben und mich dran erinnert haben, wie das bei uns damals war. Womit wir wieder bei der Leichtigkeit und dem Mut wären. Ich will nicht wieder 20 sein.
Nowak: In zehn Jahren bestimmt.
Kloß: (lacht) Ich meine vom Geist her. Aber ich bin echt froh, dass wir diese Leichtigkeit wiedergefunden haben und unser Album mit seinen Themen so für sich spricht. Wir alle schleppen Sachen mit uns herum, die wir nicht richtig geklärt haben, die wir liegenlassen und aufschieben, weil sie vielleicht unangenehm sind oder wehtun. Aber es tut gut, sie aus dem Weg zu räumen. Ich hatte letzte Woche erst einen Anfall und habe ganz viele Klamotten wegsortiert.
Nach dem Motto „Simplify your life“?
Kloß: Sozusagen. Das befreit tatsächlich. Durch meinen Beruf besitze ich ja sowieso viel mehr Sachen, als ich wirklich brauche. Und das geht ja weiter mit anderem Zeug. Man hat so viel Nippes zu Hause rumstehen. Wofür? Als ich 30 geworden bin, habe ich meinen Eltern gesagt: Schenkt mir bitte nichts zum Hinstellen. Seid da, schenkt mir eure Zeit oder backt mir einen leckeren Kuchen. Aber bitte nichts, was herumsteht und einstaubt.
Nowak: Für jeden materiellen Gegenstand hat man ja auch eine Verantwortung. Ganz unbewusst. Wenn man eine teure Tasse geschenkt bekommt und sie aus Versehen fallen lässt, ist man wahnsinnig traurig – bloß weil sie von Villeroy & Boch war. Dabei ist es das wirklich nicht wert, wegen einer Tasse traurig zu sein.
Es gibt es Leute, die den Minimalismus so weit treiben, dass sie nur einen Koffer besitzen.
Kloß: Das könnte ich nicht.
Was ist der unwichtigste Gegenstand in Ihrem Besitz, an dem Sie trotzdem total hängen?
Kloß: Alte Fotos. Natürlich könnte ich die einscannen, und dann wären drei Schubladen leer. Aber Fotos wegzuschmeißen, bringe ich nicht übers Herz.
Nowak: Mein Handy mit Internetzugang. Eigentlich verschwendet man viel zu viel Zeit damit. Man liest Sachen, die man eh wieder vergisst und ist im persönlichen Gespräch abgelenkt, weil man gleichzeitig checkt, wie viele Likes man auf Instagram hat. Das ist so unwichtig – und trotzdem kann man sich dem manchmal nicht entziehen. Geht mir genauso.