Reinhold Gütter (65) war 16 Jahre Baudezernent in Altona, ein Bezirk mit 262 000 Einwohnern, bevor er im Januar in den Ruhestand ging. Er verantwortete große Bauprojekte wie den IKEA-Bau in der Großen Bergstraße oder die Elbuferpromenade. Im Interview spricht er vor allem auch über Gentrifizierung und Mietpreisexplosion im angesagten Hamburger Westen.Was waren in 16 Jahren Amtszeit Ihre wichtigsten Projekte?
Reinhold Gütter: Das neue Elbufer, inklusive der Elbuferpromenade, die heute zu 90 Prozent fertig ist. Dann die Erneuerung des östlichen Astes des Bezirkszentrums Altona, das ist da, wo heute Ikea steht. Schließlich der Versuch, die Stadtteile Lurup und Osdorfer Born über die Stadterneuerung zu stabilisieren. Lurup ist der einzige große Stadtteil in Altona, in dem es vielen Leuten nicht so gut geht. Es gab viele große Projekte, vor allem in den bereits dicht bebauten Gebieten. Der Neubau des Blankeneser Bahnhofszentrums liegt etwas außerhalb davon.
Vieles rankt sich um das Phänomen Gentrifizierung. Ottensen als Stadtteil ist der prominenteste Fall. Können Sie dies auf den Punkt bringen?
Ottensen wurde umfangreich saniert, vor allem die Gründerzeitquartiere lagen damals darnieder. Als ich 1999 anfing, war die Sanierung fast abgeschlossen. Da hatte der Markt das schon aufgegriffen und Ottensen wurde von einem der weniger attraktiven Stadtteile innerhalb Hamburgs zur Nummer Vier. Zuvor war es dicht besiedelt gewesen. Dann waren viele Familien aus engen Verhältnissen woanders hingezogen. Auf einmal wohnten zwei Leute in vier Zimmern auf 120 Quadratmetern, Doppelverdiener. Die Miete von großen Gründerzeitwohnungen konnte sich schon vor 15 Jahren kaum jemand leisten, sie lag bei zwölf DM pro Quadratmeter. Modernisierungskosten wurden mit 11 Prozent pro Jahr auf die Miete draufgeschlagen. Als später die SPD an die Regierung kam, gab es ein deutliches Gegensteuern. Die von der CDU postulierte „Wachsende Stadt“ wurde differenzierter umgesetzt. Es gibt nun bei größeren Bauprojekten wie dem Othmarschen-Park immer einen Anteil an öffentlich gefördertem, bezahlbarem Wohnen, den sogenannten Drittelmix.
Ist in Anbetracht der Preisexplosion da nicht trotzdem etwas verschlafen worden?
Ottensen war ja bis in die frühen Achtziger hinein ein runtergekommenes Wohn- und Gewerbequartier. Es gab kaum Freiflächen, Kinderspielplätze konnte man suchen. Das hat man mit öffentlichen Mitteln geändert. Es ist aber nicht im Bewusstsein gewesen, dass eine durch die Privatwirtschaft aufgenommene Welle weiterer Werterhöhungen folgen würde, bis dahin, dass solche Gebiete für Leute mit normalem Einkommen nicht mehr bezahlbar waren. Die wahre Preisexplosion hat erst in den letzten knapp zehn Jahren stattgefunden.
Wie steuert die Politik dagegen?
Zum Beispiel über Soziale Erhaltungsverordnungen. Das ist sehr mühsam, jeder Bauantrag muss kleinteilig betrachtet werden. Es ist streitintensiv. Die Bauherren und Grundeigentümer, die mit hohen Gewinnmargen weiterverkaufen wollen, ziehen oft vor Gericht. Der größte Warnschuss, den man als Stadt abfeuern kann, ist, den Investoren zu sagen: Wenn Ihr hier zu inflationären Preisen den Bestand aufkauft, dann treten wir ein und machen es Euch unmöglich, vormalige Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Das nennt sich Vorkaufsrecht. Damit kann man die Objekte erst einmal vom Markt nehmen, dazu braucht man aber anfangs viel Geld.
Die Investoren haben also nur ihre Rendite im Kopf?
Nicht alle. Aber Neubauten werden inzwischen für 5500 bis über 6000 Euro pro Quadratmeter verkauft, wie bei „Fette Höfe“ am Spritzenplatz. Die teuersten Wohnungen sind die großen Gründerzeitwohnungen, die modernisiert worden sind. Damit kommen eigentlich abgeschriebene Bestände in eine ganz neue Preis- und damit Mietklasse. Nur die SAGA, die Genossenschaften und wenige Private bauen und modernisieren freiwillig noch bezahlbare Mietwohnungen. Auch Gewerbe ist für Grundeigentümer preislich unattraktiv. Ottensen ist jedoch immer noch ein wenig gemischt. Ottensen Süd ist nicht so überpreist, das liegt an den institutionellen Bestandshaltern wie der SAGA und den Genossenschaften.
Es heißt ja, als Erstes seien die Künstler gekommen und hätten die ehemaligen Arbeiterquartiere flott gemacht...
Die Pioniere sind im Wesentlichen Studenten und Künstler, die häufig in Wohngemeinschaften in Gründerzeithäusern leben und arbeiten. Dieses Klientel sucht immer günstigen Wohn- und Arbeitsraum. Das bewirkt, dass das Image eines Viertels steigt. Diese Bevölkerung ist wider Willen eine Transitbevölkerung, was sich private Eigentümer zunutze machen, um systematisch die Preise zu erhöhen. Die Pioniere werden auch über Modernisierung und Umwandlung in Eigentum rausgedrängt zugunsten einer zahlungskräftigen Nachfrage. Das ist ein weltweites Phänomen. Die Kämmerer freuen sich. In den USA wird das „New Urbanism“ genannt. In Ottensen gibt es mittlerweile kaum mehr freie Flächen, der Stadtteil hat aber ein neues Gleichgewicht auf hohem Niveau entwickelt. Man kann im Stadtteil fußläufig alles einkaufen, auch ins Kino und Theater gehen.
Die Krankenschwester und der Arbeiter können sich Ottensen aber nicht mehr leisten. Es wird von Verdrängung gesprochen. Hat die Politik da nicht versagt?
Die Politik hat es lange nicht zur Kenntnis genommen. Investoren sind marktwirtschaftlich unterwegs, schaden aber oft dem gewachsenen Gefüge. Über Bahrenfeld-Süd haben wir deshalb die Erhaltungsverordnung gelegt. Das Gebiet südlich der Stresemannstraße steht vor deutlicher Aufwertung. Die Gegend ist attraktiv. Da muss die Stadt auch gewillt sein, über das scharfe Schwert Vorkaufsrecht Spekulanten entgegenzutreten.
Sie haben auch mal beklagt, während ihrer Zeit als Baudezernent seien 43 Hektar reines Gewerbe in Wohngebiete umgewandelt worden.
Das war die damals herrschende Politik. Aber wir brauchen für die Zukunft gewerbliche Arbeitsplätze, nicht nur Dienstleistung. Sie finden in den genannten Vierteln kaum noch Handwerker, deren Betriebe Lärm machen dürfen. Das Bundesimmissionsschutzgesetz setzt eine Trennlinie, man darf in Wohngegenden weder Lärm noch Abluft emittieren, obwohl die Leute lieber die gemischte Stadt wollen. Ich habe immer heftig um Gewerbegebiete gekämpft. In Bahrenfeld haben wir einiges durchgesetzt, zum Beispiel das Handwerkerdreieck an der Schützenstraße. Jetzt droht, dass durch Flüchtlingswohnungen weitere zentrale Gewerbegebiete verloren gehen. Momentan zum Beispiel an der Gaußstraße. Damit erhöhen sich die Grundstückspreise um das Dreifache.
Wie sieht es denn in Lurup aus?
Lurup ist mir zu Beginn des vorigen Jahrzehnts als etwas triste Vorstadt aufgefallen, es hatte zum Beispiel kein Einkaufszentrum, das man zu Fuß erreichen kann. Dort standen ein riesiger Baumarkt und ein SB-Warenhaus mit 15 000 Quadratmetern. Wider Erwarten kam ein Investor, der sich die Expansion der Firma Kaufland in Hamburg nutzbar machte. Kaufland brauchte 5000 Quadratmeter, was in dichten Wohngebieten nicht möglich ist, und bot sich als Ankermieter im neuen Lurup-Center an. So ist dieses Zentrum mit Einkaufen, anschließendem Wohnen und einem Ärztehaus entstanden. Die neuen, hochwertigen Mietwohnungen in Lurup sind überwiegend bezahlbar und die Infrastruktur stimmt immer mehr. Südlich davon haben wir einen Technologiepark geplant, der in den nächsten Jahren Arbeitsplätze bieten soll.
Wie war Ihr Verhältnis zum Oberbaudirektor Jörn Walter?
Prinzipiell sehr gut, nur in einem Punkt lagen wir auseinander. Er will recht dicht bebauen, das wird man in der Neuen Mitte Altona sehen. Ich habe immer gesagt: „Wir sind hier nicht in Südeuropa.“ Die Sonne steht schlicht tiefer, man sucht das Licht und nicht den Schatten. Auch in Erdgeschosse muss die Sonne scheinen können, wenn sie mal scheint.
Zur Person
Reinhold Gütter war 16 Jahre Baudezernent in Altona. Zuvor hat er acht Jahre das Bauwesen in Nürnberg verantwortet, wo er das Vorkaufsrecht für große Wohnungsbestände realisierte. Anschließend war der studierte Städteplaner zehn Jahre bei der Stadt Köln tätig.