Von Markus LorenzHerr Böttcher, Hand aufs Herz: Wie wird das Wetter im Rest des Sommers?
Böttcher: Das kann ich nicht sagen. Wir fahren in der Meteorologie auf Sicht, das heißt unsere Vorhersagen reichen allerhöchstens zehn Tage. Und dahinten am Horizont sind die Prognosen dann schon sehr wackelig.
Gefühlt war das Wetter in Norddeutschland in den letzten Wochen chaotisch. Stichwort Tornados. Stimmt der Eindruck?
Tatsächlich gab es noch nie Tornados an drei aufeinander folgenden Tagen bei uns, und wir haben eine Häufung von Starkregenereignissen in Schleswig-Holstein und Hamburg gehabt. Wobei das lokal sehr unterschiedlich ist. In den letzten 30 Tagen sind etwa in Hamburg-Heimfeld 30 Liter pro Quadratmeter gefallen, keine 15 Kilometer nordöstlich in Berne waren es 150 Liter.
Ist das alles noch normal?
Es gehört einerseits zu unserem Wetter dazu, dass wir auch solche Wetterlagen haben. Aber die Entwicklung passt auch ins große Bild des Klimawandels.
Inwiefern?
Es gibt infolge des Klimawandels zwei Wetterlagen, von denen wir annehmen, dass sie im Sommer häufiger auftreten. Zum einen Südwestwetterlagen mit heißen, trockenen Luftmassen. Und zum anderen tropisch-feuchte Luftmassen mit vielen Gewittern. Insgesamt hat sich seit Anfang der 1990er Jahre die Zahl der Hitzetage mit Temperaturen von mehr als 30 Grad in Hamburg auf 4,5 pro Jahr fast verdoppelt.
Kann das nicht statistischer Zufall sein? Was macht Sie sicher, dass wir es mit einer Klimaveränderung zu tun haben?
Wir beobachten, dass zu den natürlichen Schwankungen beim Wetter ein menschengemachter Impuls hinzukommt: die Abgabe von Treibhausgasen in die Atmosphäre. Das ist so wie auf der Autobahn. Leitplanken und Markierungen sorgen dafür, dass die Autos zwar mal weiter links und mal weiter rechts fahren, aber immer in einem bestimmten Bereich bleiben. Nimmt man die Leitplanken weg, wird die Fahrbahn leicht verlassen. Das passiert gerade beim Klimawandel.
Lässt sich noch was zu retten?
Ich bin ziemlich sicher, dass wir auch Möglichkeiten in die andere Richtung haben. Wir können das System so beeinflussen, dass weniger Treibhausgase emittiert werden. Vielleicht können wir CO2 sogar aus der Atmosphäre zurückholen. Aber wir müssen es jetzt tun.
Wie denn?
Auf erneuerbare Energien umsteigen. Wenn wir das jetzt tun, wird es übrigens viel, viel billiger als in 20 Jahren.
Sie denken also, dass die Menschheit den Klimawandel übersteht?
Ich bin der Zukunft grundsätzlich positiv zugewandt. Ich glaube, dass unsere Welt ganz anders aussehen wird, aber dass wir uns anpassen. Es wird Gebiete geben, in denen man nicht mehr leben kann. Andererseits wird es Gebiete geben, in denen Leben leichter möglich wird. In Grönland bauen sie inzwischen Erdbeeren an.
Selbst wenn wir das Ruder sofort rumwerfen, geht der Klimawandel erst mal weiter?
Ja. Das ist ein Prozess mit langem Vorlauf. Bis 2050 müssen wir damit rechnen, dass sich die Hitzetage abermals verdoppeln. In Schleswig-Holstein gibt es dann durchschnittlich statt drei Tagen sechs Tage mit über 30 Grad im Jahr.
Viele Menschen fänden das vermutlich wunderbar, zum Beispiel in der Tourismuswirtschaft.
Ja, ja. Dann wäre das Wetter im Norden so wie jetzt in Freiburg. Das Problem ist nur, dass das Wetter in Freiburg dann so sein wird wie derzeit in Nizza. Und in Nizza haben die Menschen dann so viele Hitzetage um 40 Grad wie jetzt in Algier. Die Hitze wird immer schlimmer werden, je weiter man nach Süden kommt. Mit negativen Folgen für Gesundheit und Landwirtschaft beispielsweise.
Wie müssen wir uns im Norden auf das geänderte Klima einstellen?
In Schleswig-Holstein wirkt sich vor allem der Anstieg des Meeresspiegels aus. Bis zum Ende des Jahrhunderts rechne ich damit, dass der Meeresspiegel an den Küsten Norddeutschlands um 50 Zentimeter bis einen Meter höher sein wird.
Also: Deiche weiter erhöhen?
Richtig, das ist aber nur das Eine. Aus Kostengründen wird aber die Frage aufkommen, ob wir wirklich jede Ausbuchtung mit viel Aufwand werden schützen können. Vielleicht müssen wir darüber nachdenken, die Küstenlinien aus Effizienzgründen zu begradigen und Landstriche den Fluten zu überlassen. Und wir sollten schon jetzt anfangen, bestimmte Gebiete hinter den Deichen nicht mehr zu bebauen.
Wird das reichen?
Vielleicht nicht. Möglicherweise wird es in 30 Jahren noch ganz andere Lösungen geben. Es gibt bereits die Idee eines Sperrwerks für die Elbmündung. Und, wer weiß, möglicherweise haben wir in 50 Jahren quer durch Schleswig-Holstein einen riesigen Kanal von der Nordsee bis zur Ostsee, durch den bei Sturmfluten die Wassermassen ostwärts abfließen, um den Druck von den Deichen zu nehmen.
Ihr Institut hat kürzlich Tornados in der Prognose genannt, woraufhin der Deutsche Wetterdienst Ihnen Panikmache vorgeworfen hat. Tatsächlich gab es keinen Tornado. Müssen private Wetterdienste laut trommeln, um wahrgenommen zu werden?
Nein. Alle Wetterdienste machen ihre Vorhersagen mit sehr großer Sorgfalt, wir auch. Das war an dem Tag nicht anders. Wir hatten viele Hinweise auf eine Wetterlage, die zu Tornados in Hamburg und Schleswig-Holstein hätte führen können.
Warum die Aufregung bei dem Thema?
Der Begriff „Tornado“ löst stets eine mediale Hysterie in Deutschland aus, das haben wir vielleicht unterschätzt. Dabei sind Tornados hier gar nicht so selten. Wenn sie möglich sind, gehören sie auch in die Prognose, ohne dass das gleich als Warnung verstanden wird. Wir können noch einiges an Aufklärung leisten und den Begriff entmystifizieren.
Gibt es mehr Tornados als früher?
Es gibt seit etwa 2004 einen gewaltigen Anstieg bei den Tornanobeobachtungen. Das bedeutet aber nicht automatisch mehr Tornados. Die Zahl der Beobachtungen stieg nämlich parallel zur Verbreitung von Smartphones mit Fotofunktion. Die Zahlen vor 2004 sind also nur in sich vergleichbar, aber nicht mit den Zahlen heute. Wir sprechen am besten in 20 Jahren noch mal darüber.
Was macht einen guten Wetterdienst-Anbieter aus?
Wichtigstes Kriterium sind hervorragende Vorhersagen über einen langen Zeitraum hinweg. Und dabei lassen wir uns auch nicht von irgendwelchen Interessen beeinflussen. Etwa, wenn Urlaubsregionen sich wünschen, dass wir die Sonne auf dem Vorschaubild größer und die Wolken kleiner machen.
Wie groß ist Ihre Trefferquote?
98 Prozent der Prognosen treffen zu, das heißt, im Jahr sind nur sechs falsch. 2015 waren die Vorhersagen für die nächsten fünf Tage übrigens so gut wie 1960 für den nächsten Tag.
Aber Fehler passieren trotzdem?
Na klar. Es kam schon vor, dass meine Frau aufwacht und sagt: „Guck mal, wie schön die Sonne scheint.“ Und ich schrecke hoch und denke: „Wo ist denn mein Hochnebel schon hin?“ Umgekehrt ist es übrigens viel unangenehmer. Stellen Sie sich vor, mein „Abends sonnig“ löscht bei den Leuten den Grill.
Bekommen Sie viele Beschwerden über falsche Vorhersagen?
Sehr, sehr wenige.
Machen Wetter-Apps und Wetter-Portale im Internet die klassischen Wetterberichte überflüssig?
Nein, im Gegenteil. Ich stelle einen Trend fest, hin zu mehr Meteorologen im Fernsehen anstelle von Moderatoren, die Meteorologie nur erzählen. Es gibt ein Bedürfnis der Menschen, sich die Flut von Wetterdaten erklären und einordnen zu lassen. Die Einschaltquoten untermauern das.
Zur Person
- Frank Böttcher wurde 1968 in Hamburg geboren- Seine meteorologische Laufbahn beginnt als ehrenamtlicher Niederschlagsbeobachter für den Deutschen Wetterdienst- 1991 Studium „Texter“ an der Kommunikationsakademie- 1992 Ausbildung zum Werbekaufmann- 2000 wird Böttcher Geschäftsführer des Wetterdienstes Wetterspiegel.de- Seit 2006 ist er Veranstalter des Extrem-Wetter-Kongresses in Hamburg- Ab 2007 Wettermoderator für verschiedene Sender (Klassikradio, Hamburg1 Fernsehen, Franken Fernsehen, TV Berlin, Radio Hamburg, R.SH) sowie Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter des Instituts für Wetter- und Klimakommunikation- 2013: Gemeinsam mit dem ARD-Wettermann Sven Plöger Autor des Buches „Klimafakten“- Seit 2014: Wettermoderator NDR aktuell- Frank Böttcher ist verheiratet und hat drei Söhne (12 Jahre, 10-jährige Zwillinge); er lebt in Hamburgs Norden