Im Interview mit dem TAGEBLATT äußert er sich zu den Folgen der Olympia-Pleite, zur Krise des Hamburger Leistungssports und zur Bedeutung des Sports für die Integration von Flüchtlingen.Von Martin Sonnleitner und Markus LorenzHerr Holstein, wie sehr schmerzte die Niederlage beim Olympia-Referendum im November? Das Ergebnis hat uns kalt erwischt. Einige haben länger gebraucht, das zu verdauen. Der Bürgermeister ist Realist. Bei ihm ging es schneller. Und es war immer klar, dass das Ergebnis verbindlich ist. Also: aufstehen, schütteln, weitermachen.
Der Chef des Hamburg Marathons, Frank Thaleiser, wirft den Behörden vor, in Schockstarre zu verharren. Sportfunktionäre äußern sich ähnlich. Wann wacht der Senat auf? Der Bürgermeister hat schnell ein klares Bekenntnis zum Sport abgegeben. Wir kümmern uns weiter – um Leistungssport und um Breiten- und Vereinssport. Das ist wichtig mit Blick auf die gesellschaftliche Wirkung des Sports, von der Integration von Geflüchteten über Gesundheitsförderung bis hin zum Gedanken, dass sich Leistung lohnt. Und die Entscheidung, die Stelle des Sportstaatsrats in vollem Umfang zu erhalten, ist auch ein Signal.
Dass die Marathonis neuerdings ihre HVV-Tickets selber zahlen müssen, wirkt nicht wie eine Einladung der Sportstadt Hamburg... Zwei Geschäftspartner, der HVV und der Veranstalter, haben sich nicht einigen können. Es wäre aber keine gute Idee, wenn die Stadt in solchen Fällen sagen würde: Wir regeln das für euch. Die Beteiligten wollen weiter miteinander reden, und wir hoffen, dass es fürs kommende Jahr wieder eine einvernehmliche Lösung gibt.
Was konkret heißt „Sportstadt“ für den Senat? Dass Sport als Teil von Lebensqualität gesehen wird. Dass es einen Konsens darüber gibt, dass der Sport der Stadt und den Menschen guttut – und zwar in der gesamten Bandbreite. Von Unterhaltung für Zuschauer von Sportevents über Sport als Wirtschafts- und Imagefaktor bis zu den genannten positiven Effekten des Spitzen- und Breitensports.
Welche großen Sportereignisse wird es zu sehen geben? Bürgermeister und Sportsenator haben nach dem Referendum schnell entschieden: Hamburg wird weiter auf der internationalen Bühne mitspielen. Außer unseren traditionellen Großveranstaltungen wie Marathon, Triathlon oder Cyclassics gibt es im Juni ein internationales Beachvolleyball-Turnier am Rothenbaum, bei dem sich auch unsere Hamburger Athleten für Rio qualifizieren können und die German Open Taekwondo, nächstes Jahr dann die Amateur-Boxweltmeisterschaft und die Handball-WM der Frauen. Und wir werden uns weiter um internationale Meisterschaften bewerben und bemühen.
Welche? Zum Beispiel um die nächste Rollstuhl-Basketball-WM. Rollstuhl-Basketball ist eine Hamburger Schwerpunktsportart. Und es gibt Leute, die über einen Ironman-Triathlon in Hamburg nachdenken – interessant...
Was ist mit der Handball-WM der Männer 2019, die in Deutschland und Dänemark ausgetragen wird? Hamburg hat großes Interesse, an der Ausrichtung beteiligt zu werden. Wir sind wie ganz Norddeutschland für den Handball ein attraktiver Standort. Die Finalrunde im Pokalwettbewerb findet bis mindestens 2022 an der Elbe statt.
Falls Deutschland die Fußball-EM 2024 ausrichtet, bekommt Hamburg dann endlich auch mal wieder ein Halbfinale zu sehen? Das hoffen wir sehr. Aber diese Entscheidung treffen nicht wir. Leider.
200 Millionen Euro pro Jahr hatte die Stadt für den Fall eines Olympia-Zuschlags versprochen. Auf wie viel davon kann der Sport nun hoffen? Vorweg: Die 200 Millionen hätten wir investieren können, wenn wir sie durch Olympia wieder eingenommen hätten. Wir investieren aber schon seit Jahren in den Sport und werden das auch weiterhin tun.
Um welche Summen geht es? Wir haben in den Jahren 2011 bis 2015 fast 43 Millionen Euro allein in Sanierung, Erhalt und Neubau städtischer Sportstätten investiert, im selben Zeitraum in Schulsporthallen fast 150 Millionen, in vereinseigene Sportstätten knapp zehn Millionen. Auf diesem Weg werden wir weitergehen.
Bleibt es bei der Dekadenstrategie für Hamburgs Sport? Ja. Wir haben mit der Dekadenstrategie eine Perspektive entwickelt, wie der Sport sich zwischen 2011 und 2021 entwickeln sollte. Am 10. Mai werden wir zur Halbzeit der Dekade auf dem Sportkonvent eine kommentierte Fassung vorstellen, mit der wir die Perspektive bis 2021 konkretisieren. Sport ist eine Querschnittsaufgabe, die fast alle Ressorts betrifft. Es geht um Sport in der Schule, in der Großstadt, um Integration von Geflüchteten und Inklusion. Aber eben auch um Spitzensport, gerade im Olympia-Jahr 2016.
Was bleibt vom Olympia-Konzept für den Sport in der Stadt? Wir haben mit der Olympia-Bewerbung 695 Einzelprojekte formuliert. Eine ganze Reihe von denen wollen wir auch ohne die Spiele realisieren. Das schreiben wir gerade in unserem Masterplan „Active City“ fest. Dieses olympische Erbe ohne Olympische und Paralympische Spiele umfasst voraussichtlich 30 bis 40 Projekte.
Welche? Es geht um mehr barrierefreie Sporthallen. Aber auch die Modernisierung großer Sportstätten gehört dazu. Das kann die Alsterschwimmhalle betreffen, die Tennisanlage am Rothenbaum, die Ruderregattastrecke Allermöhe oder die Reitanlage in Klein Flottbek. Der Masterplan soll nach derzeitiger Planung noch im ersten Halbjahr 2016 fertiggestellt werden.
Bekommt der Olympiastützpunkt in Dulsberg ein wettkampftaugliches Schwimmbecken? Eine Überlegung im Rahmen von „Active City“ ist es, einen Ort für größere Schwimmmeisterschaften zu schaffen. Die könnten am Olympiastützpunkt stattfinden, aber auch in der Alsterschwimmhalle, wenn man da erneuert und saniert.
Gehört der Bau eines Leichtathletikstadions zum olympischen Erbe? Es wäre klasse, wenn wir ein spektakuläres Leichtathletikstadion hätten. Aber wir wissen auch, dass es für solche Stadien auch eine ausreichende Auslastung geben muss.
Welchen gesellschaftlichen Wert hat Sport für Hamburg? Nichts kann stärker integrieren und gesellschaftlichen Zusammenhalt schaffen als der Sport. Das gilt vor allem, aber nicht nur für die Aufnahme von Geflüchteten. Auf dem Sportplatz sind alle gleich und verfolgen ein gemeinsames Ziel. Es gibt kein jüdisches, christliches oder muslimisches Abseits. Das verbindet, baut Hürden ab und lässt Freundschaften entstehen. Auch der Sport macht Hamburg lebenswert. Er gibt Hamburg die Möglichkeit, sich über die Stadtgrenzen hinaus als attraktiv, modern und weltoffen zu präsentieren.
Was tut die Stadt, um Flüchtlingen Sport zu ermöglichen? Trägt sie die Mitgliedsbeiträge? Beitragsfreiheit ist eine Entscheidung der Vereine, die sind autonom. Viele Vereine machen das schon, andere sind ganz unbürokratisch und lassen Flüchtlinge einfach so mittrainieren. Es gibt Flyer, auf denen Sportvereine auf Arabisch für ihr Angebot werben. Das finde ich bewegend. Und sehr beeindruckend. Denn diese Vereine sehen auch ihre Chance, mittelfristig neue Mitglieder zu gewinnen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche spezielle Angebote und Projekte von Vereinen, die neben dem regulären Vereinsangebot stattfinden und den Geflüchteten kostenlos offenstehen.
Sie wollen allen Hamburgern Beine machen und zum Sport animieren. Wie? Sport passt in die Mitte der Millionenstadt. Sport und Millionenstadt – das sind keine Gegensätze. Wir haben mit unserem Themenjahr „Hamburg trainiert“ gezeigt, dass die Hamburger Sport als Teil ihres Alltags erleben können, ohne Aufwand, ohne sich umziehen zu müssen. Das beginnt mit dem Verzicht auf den Lift, geht über Übungen am Schreibtisch bis zu kleinen Fitnessanweisungen an Ampelmasten. Bis Ende April läuft noch unser Gehwettbewerb „Hamburg geht weiter“, bei dem die Teilnehmer 10 000 Schritte pro Tag tun sollen. Wer das zwei Monate durchhält, hat die Distanz von zehn Marathonläufen zurückgelegt.
Was tut der Sportstaatsrat Sportliches im Alltag? Ich putze zum Beispiel meine Zähne immer nur auf einem Bein stehend. Das trainiert die Koordination. Und manchmal – noch zu selten – fahre ich mit dem Rad zur Arbeit. Außerdem mache ich natürlich beim Gehwettbewerb mit und bemühe mich auch so, viele kleinere Strecken zu Fuß zurückzulegen und die Treppe dem Lift vorzuziehen.
Was erwarten Sie von Olympia in Rio für Hamburg? Ich bin ganz sicher, dass die Olympia-Begeisterung von Rio nach Hamburg überspringen wird. Das Referendum war ja keine Entscheidung gegen Olympia oder den Sport. Und Hamburg hat 2016 wahrscheinlich das größte Olympia-Team aller Zeiten. Wir werden Sportlerinnen und Sportler erleben, die alles geben – für ihr Land und ihre Stadt.
Viele Profisportvereine der Stadt geben derzeit keine gute Figur ab, angefangen beim HSV. Die Freezers haben im Eishockey die Play-offs verpasst, der HSV Handball und die Volleyballerinnen des VT Aurubis mussten gar Insolvenz anmelden. Was läuft schief in den großen populären Sportarten? Nicht viel. Es gilt der Grundsatz, dass mit dem Erfolg die Kompetenz Schritt halten muss, das betrifft zum Beispiel Wirtschaft und Organisation.
Gibt es ein Comeback des großen Handballs in der Stadt? Davon bin ich fest überzeugt. Martin Schwalb und sein Team haben ein Konzept für den Neustart vorgelegt, das wir für sehr erfolgversprechend halten. Die Alexander Otto Sportstiftung, in deren Kuratorium ich Mitglied bin, hat gerade erst entschieden, beim Neuanfang zu helfen. Das ist ein gutes Zeichen.
Wie hilft die Stadt dabei? Zum Beispiel, indem wir dem Verein bei der Hallenmiete entgegenkommen. Wichtiger ist aber wahrscheinlich das Signal: Wir finden Euer Konzept gut und glauben an Euch. Wir helfen, wo wir können.
Ziehen der HSV und der FC St. Pauli Sponsoren und Fanpotenzial von anderen Vereinen ab? Ich denke schon. Da kann man den Vereinen aber nicht vorwerfen. Es gibt eine Konzentration auf den Fußball, auch bei der Berichterstattung. Dem VT Aurubis hätte es geholfen, wenn es von ihren Spielen Live-Übertragungen im Fernsehen gegeben hätte. Denn diese Medienpräsenz ist interessant für Sponsoren. Und so bitter es ist: Wir haben durch das Olympia-Referendum auch die Chance verpasst, Sportarten jenseits des Fußballs mehr in den Fokus zu rücken.
Müsste man die aufstrebenden Basketballer der Hamburg Towers nicht von Wilhelmsburg in die City umsiedeln? Wenn sie es denn wollen. Eine der vielen Stärken der Towers ist, dass sie ihre eigene Geschichte haben, die mit dem Stadtteil eng verknüpft ist. Die Towers sind sportlich und wirtschaftlich sehr realistisch. Umsiedlungen im Sport können danebengehen.