Die Schifffahrtsbranche geht davon aus, dass im neunten Jahr der Krise der Strukturwandel mit weiteren Insolvenzen einen letzten großen Schub bekommen wird.Angefangen hatte alles 2008 mit dem Zusammenbruch der Lehman Brothers in den USA. Die Wirtschaft in der gesamten Welt kriselte, das Frachtaufkommen ging dramatisch zurück. Das hatte massive Folgen für die Schifffahrt und damit für die vielen Reedereien. Zeitgleich hatten die Reeder kräftig investiert und viele Neubauten in Betrieb genommen oder in Auftrag gegeben. Damals gingen alle davon aus, dass die Krise vielleicht zwei, maximal drei Jahr dauern würde. Das hat die Branche früher weggesteckt. Aber die immer noch anhaltende Krise endete trotz der Erholung der Weltwirtschaft und des Anstiegs beim Ex- und Import nicht.
Das Problem sei heute nicht, dass es nicht wieder ausreichend Fracht gebe, sondern die extrem gesunkenen Frachtraten und die Überkapazität an Schiffen, weiß die Jorker Reederin und Vereinsvorsitzende Heinrich. Vor allem die großen Linien drückten die Preise extrem nach unten, um ihre Schiffe auszulasten. Dazu gehört zum Beispiel die Mærsk Line, die weltweit größte Containerschiff-Reederei. Viele Reeder der Region haben und hatten ihre Schiffe an Mærsk verchartert. Liefen die Verträge aus, mussten sie entweder zu Dumpingpreise fahren oder sie bekamen keinen neuen Vertrag. Die Zahl der Auflieger – Schiffe, die ohne Fracht stillliegen – wuchs und wächst heute noch.
Die Kosten für diese Schiffe laufen aber weiter. Früher hielten Banken eine gewisse Zeit still, gewährten Tilgungsaussetzungen, aber irgendwann nehmen sie lieber Wertberichtigungen in Kauf und betrieben Insolvenzverfahren. Manches Bankhaus, das sich intensiv im Schifffahrtsgeschäft engagiert hatte, kam selbst ins Wanken. Das betraf Kleine wie die ehemalige Kehdinger Volksbank, die inzwischen mit der Ostfriesischen Volksbank zusammengegangen ist, ebenso wie die große HSH Nordbank.
Ob als Auflieger oder als Schiff, das mit schlechten Frachtraten fährt, auskömmlich sei das Geschäft nicht mehr, sagt Petra Heinrich. Die Raten für Tages-Charter reichen noch nicht einmal, um die laufenden Kosten abzudecken, und erst recht nicht mehr, um Zinsen und Tilgung zu bedienen. Und die Dumpingpreise seien anhaltend, sagt die Reederin: „Das ist alles ein totaler Wahnsinn.“
Zu diesem Wahnsinn gehört auch der Gigantismus bei den Schiffsgrößen. Bis zu 20 000 TEU (entspricht der Anzahl der Container) Lagerkapazität haben diese Riesen zum Teil. In Februar war eines dieser Großcontainerschiffe in der Elbe auf dem Weg nach Hamburg auf Höhe des Lühe-Anlegers auf Grund gelaufen und lag tagelang fest. Und das, obwohl die 400 Meter lange „Indian Ocean“ mit fast 19 000 TEU längst nicht voll beladen war.
Die Megaliner sind aber nicht nur für die Elbe und damit für den Hamburger Hafen ein Problem. Auch für andere Regionen und vor allem Wasserstraßen in der ganzen Welt sind die Riesenpötte nicht geeignet. Zudem rechneten sie sich meist gar nicht und seien volks- und betriebswirtschaftlicher Unsinn, so der Bremer Schifffahrts- und Hafenexperte Professor Dr. Ulrich Malchow. Er plädiert für eine Maximalgröße von 14 000 TEU und warnt vor den weiteren Folgen für Schifffahrt und Reedereien in aller Welt (siehe Interview).
Zurück zu den hiesigen Reedereien an der Unterelbe. Solche Giganten betreiben sie ohnehin nicht. Viele der kleineren Reeder fahren mit Schiffen zwischen 1000 und 5000 TEU oder entsprechend große Bulker (Massengutschiffe). Und auch diese Schiffsgrößen seien in den vergangenen Jahren noch „gebaut worden ohne Ende“, so Petra Heinrich. Folge: Die älteren Schiffe werden vom Markt gedrängt und deutlich unter Wert gehandelt oder zunehmend auch zwangsversteigert. Die Schraube drehe sich weiter, ein Ende sei nicht in Sicht, sagt die Vereinssprecherin. Sie prognostiziert, dass es Ende des Jahres 2016 noch weniger Schiffe gibt und in der Region deutlich weniger Reeder. Allein seit Beginn der Krise hat sich die Zahl der Schiffe, die auf den Weltmeeren fahren, um fast 30 Prozent von 3600 auf 2700 reduziert.
In den meisten Fällen geht es den Reedern schon lange an die Substanz, vielfach ist diese aufgezehrt. Dahinter stehen oft persönliche Schicksale, sagt Petra Heinrich, weil am Ende viele Reeder mit ihrem gesamten Privatvermögen haften und am Ende Haus und Hof verlieren. Letzter Rettungsanker ist oft die Poolbildung innerhalb einer größeren Reederei oder bei Zusammenschluss mehrerer kleiner Firmen. Da werden extrem unwirtschaftliche Schiffe mit solchen, die noch Erlöse bringen zusammengelegt, um unterm Strich einen Ausgleich zu schaffen. Weil es aber immer weniger wirtschaftlich laufende Schiffe gibt, funktioniert das in vielen Fällen auch nicht mehr. Die Möglichkeiten, durch Zusammenschlüsse mehrerer kleiner Reedereien die Verhandlungsergebnisse für die Frachtraten zu verbessern und durch Großeinkauf die Kosten zu senken, sind fast alle ausgeschöpft.
Die Stader Reeder Oltmann gehört in der Region zwar zu den großen Schiffsbetreibern mit 25 Containerschiffen (2500 bis 5000 TEU) und zwei Bulkern, ist aber genau wie die kleineren von der Krise betroffen. Vor drei Jahren vom TAGEBLATT befragt, sprach Peter Oltmann noch davon, durch Rücklagen und eine überdurchschnittliche Eigenkapitalquote die Krise zu überstehen. Drei Jahre später ist er nicht mehr so optimistisch. Es gehe auch bei ihnen an die Substanz, obwohl sie antizyklisch in der Krise neue und entsprechend günstige sowie moderne Schiffe in Betrieb genommen hätten. Auch sie haben Problemschiffe und Auflieger. Sie würden mit den Banken Konzepte entwickeln, bei denen Schiffe gebündelt werden, um Investoren zu finden. Das geht aber nur über den Preis der Problemschiffe.
Es gebe, so Oltmann, einen regelrechten Handel mit Gebrauchtschiffen, die weit unter Preis gekauft oder ersteigert werden, um sie dann mit Gewinn wieder veräußern. Ist die Rezession in der Schifffahrt einmal überstanden, könnten diese Nutznießer der Krise kräftige Gewinne machen. Ohne Risiko ist dieses Geschäft aber keinesfalls. Peter Oltmann findet es äußerst bedauerlich, dass in dieser Krise viele kleine grundsolide Schiffer und Reeder zu Opfern werden. „Denn sie alle sind oft hervorragende Seeleute, die für hohe Qualitätsstandards stehen“, stellt der Reeder fest. Bei dem derzeitigen Wettbewerbsdruck werde zunehmend weniger Wert auf diese Standards gelegt, so Oltmann.
Auch der Vorstand der auf Schiffsfinanzierung spezialisierten Ostfriesischen Volksbank, Holger Franz, prognostiziert für die Seeschifffahrt ein schwieriges Jahr 2016 mit weiterhin „bescheidenen Frachtraten“. Im Bereich der Großcontainerschifffahrt und bei großen Massengutschiffen, die zurzeit desaströse Einnahmesituationen zu verzeichnen hätten, sei die Bank allerdings nicht mehr engagiert. Zudem habe sie sich in den vergangenen Jahren in enger Zusammenarbeit mit den Reedereien von nicht mehr zukunftsfähiger Tonnage getrennt. Für Franz gibt es Licht am Horizont: Sein Haus habe sich zunehmend in der Binnenschifffahrt engagiert, die sich im vergangenen Jahr gut entwickelt habe. Im zweiten Halbjahr 2015 sorgten auskömmliche Raten in den Tankschifffahrtsmärkten auch für eine positive Entwicklung. Nun müssen nur noch die anderen nachziehen.
Heinrich sieht nur eine Lösung: Nach einer weiteren Marktbereinigung und einem Stopp des Gigantismus und der Produktion von Überkapazitäten müssten die Frachtraten wieder steigen. Und dafür müsse Schluss sein mit dieser Geiz-ist-geil-Mentalität im Konsum. „Die Menschen würden nur wenige Euro mehr für ihren Fernseher bezahlen, wenn die Frachtraten auskömmlich wären.“
Wer es bis zu diesem lang ersehnten Ende der Krise durchhält, wird überleben und auch wieder gutes Geld verdienen. Die Frage ist nur: wann?
„Verschrotten, verschrotten, verschrotten“Interview mit dem Schifffahrts- und Hafenexperten Ulrich Malchow von der Hochschule Bremen
Die Krise in der Schifffahrt ist durch internationale Märkte bestimmt. Der Welthandel hat sich längst erholt, nur die Schifffahrt nicht. Woran liegt das?In den meisten Schifffahrtsmärkten übertrifft das Angebot die Nachfrage bei weitem. Das ist das ganze Problem.
Wird es in diesem Jahr zur Marktbereinigung kommen?Es werden sicherlich noch einige Player ausscheiden. Damit wird das Problem aber eigentlich noch größer, denn die betreffenden Schiffe kommen dann noch günstiger auf den Markt. Wir haben nicht zu viele Reedereien, sondern zu viele Schiffe.
Die Frachtraten sind nicht auskömmlich. Wo sehen Sie hier die Gründe und die Rolle der großen Linienbetreiber wie Maersk?Maersk hat eine ganze globale Branche mit seinen Neubauprogrammen in den letzten Jahren vor sich her getrieben. Vermutlich war man in Kopenhagen selbst überrascht, wie schnell die Branche gefolgt ist und Maersk in den Schiffsgrößen sogar überholt hat.
Und wer bleibt am Ende übrig von den deutschen Reedern?Das kann ich von außen nicht beurteilen. Das Überangebot an Schiffsraum wird noch lange anhalten. Eigentlich helfen nur drei Maßnahmen: verschrotten, verschrotten, verschrotten.
Es wurden trotz Talfahrt Schiffe gebaut. Ist die Krise hausgemacht?Klar, diese Krise ist absolut hausgemacht. Dabei muss man jedoch berücksichtigen, dass der einzelne Akteur kaum Alternativen hat. Containerschifffahrt ist vom Grundsatz nun einmal ein simples Geschäft, in dem der Wettbewerb fast ausschließlich über den Preis läuft. Insofern strebt jeder Akteur nach der Kostenführerschaft, in der Hoffnung, die Riesenpötte auch voll zu bekommen.
Die Containerschiffe werden immer größer. 21 000 TEU sind mittlerweile verbreitet. Sie halten das für unwirtschaftlich?Die erreichten Schiffsgrößen führen nicht mehr zu weiteren Kosteneinsparungen, da die Kostenkurven mit zunehmender Schiffsgröße schon aus physikalischen Gründen einfach flacher werden. Stattdessen verursachen sie bei allen Beteiligten eigentlich nur noch Probleme wie Verzögerungen im Revier und beim Umschlag und teure Infrastrukturmaßnahmen.
Schiffsgrößen sind vielfältig und reichen vom Feeder mit weniger als 1000 TEU bis zu den Giganten. Wo sehen Sie diese Schiffstypen in zehn Jahren?Ich hoffe, dass wir das Maximum jetzt erreicht haben. Diejenigen, die am meisten unter den Schiffsgrößen leiden, nämlich die Häfen und damit auch ihre Terminals, sollten versuchen, dem Größenwachstum entgegenzuwirken.
Wird Hamburg weiter wachsen?Schwer zu sagen. Hamburg muss aufpassen, dass es nicht verliert. Problemquelle sind hier der NordOstsee-Kanal und die Ambitionen von Danzig.
Wird es außer dem Kreuzfahrtschiffbauer Meyer in Papenburg in zehn Jahren noch Werften in Deutschland geben?In Deutschland wird die Werftindustrie nicht staatlich gestützt. Deswegen ist sie so geschrumpft gegenüber dem subventionierten Wettbewerb in Fernost. Was bleibt, sind die anspruchsvollen Nischen. Damit landet man aber nicht mehr in den ersten Rängen der Schiffbaunationen. Aber auch Containerschiffe waren einmal Spezialschiffe und kamen in den 70er Jahren noch zu 50 Prozent von deutschen Werften.
Welche Berufsaussichten haben ihre Studenten, die ja in der Regel in die Hafen- und Schifffahrtswirtschaft gehen?Für Schiffsoffiziere wird es zunehmend schwieriger. Für die maritimen Logistiker sind die Aussichten aber sehr gut, denn Deutschland ist nicht nur Export- sondern auch Logistikweltmeister.
Zur Person
Prof. Dr.-Ing. Ulrich Malchow ist gelernter Reedereikaufmann und hat Schiff- und Maschinenbau in Hamburg und Aachen studiert. Bei Blohm und Voss in Hamburg war er zuletzt Vertriebsleiter für den zivilen Neubau und später als Geschäftsführer eines Hamburger Hafenunternehmens tätig. Seit 2011 lehrt und forscht er an der Hochschule Bremen.