Alois tuckert gemächlich vorbei am Überseequartier und Kreuzfahrtterminal. Schnell ist anders. Doch der rot-weiße VW T3 Caravelle ist der Liebling von Tourguide Stefan. Alois lebte 31 Jahre in den Bergen Österreichs, bevor er im Frühjahr dieses Jahres Teil des Waterkant-Fuhrparks wurde. Seinen Namen hat er seinem ehemaligen Besitzer zu verdanken. Mit seinen 55 PS ist der Bulli nicht schnell, aber das braucht er auch gar nicht. Zweieinhalb Stunden dürfen wir aus seinem Blickwinkel die Stadt kennenlernen.
Im Dezember 2014 organisierten Jan Schmitt und Steffen Körtje ihre erste Waterkant-Tour. Die Idee war eine Stadtrundfahrt in einem Retro-Bulli, bei der sie die weniger überlaufenen Plätze Hamburgs, abseits der Touristenpfade, zeigen wollten. „Das, was wir anbieten, ist ein wenig wie Airbnb“ – nach dem Slogan „Fahr nicht nur hin. Lebe dort“ sollen ihre Gäste die Stadt erleben, wie jemand, der dort zu Hause ist.
Die Unternehmer wuchsen beide gemeinsam in der Lüneburger Heide auf, bevor sich ihre Wege trennten, und dann wieder kreuzten. Vor zwei Jahren dann hatten sie genug von ihren Jobs, nicht aber genug von Steffens altem VW Bulli. Kurzerhand wurde der zur Touristenkutsche. „Wir hatten den Mut, es einfach auszuprobieren“, erzählt Jan Schmitt. Aus dem Zweimann-Betrieb ist mittlerweile ein mittelständisches Unternehmen mit 13 Mitarbeitern geworden. Außerdem zählen drei Liebhaber-Bullis, allesamt Neunsitzer, zum Inventar. Neben Alois gehören Roger und Jolante, beides ebenfalls VW-Bullis, zum Fuhrpark. Einer schnuckeliger als der andere.
Stadtführer Stefan streckt seinen Arm nach links aus dem Fenster, um unser Augenmerk auf die MS Europa 2 zu lenken. Alle Köpfe im Bus huschen nach links. Aha, sagt Frieda nüchtern. Gemeinsam mit ihrem Mann Helmuth ist die Rentnerin auf Stipvisite in der Hansestadt. Sie darf vorne am Fenster sitzen. Das ist angenehm frisch an diesem heißen Tag, anders hinten im Bus, dort lassen sich die Fenster nicht runterkurbeln. Doch es würde sich keiner beklagen. Dafür haben sich alle zu sehr auf die Tour gefreut. An der Elbphilharmonie machen wir nur einen kurzen Halt. Weiter gehts. Stefan setzt den Blinker und lenkt Alois Richtung Elbbrücken. Schon wieder fährt er über eine gelbe Ampel, an der nächsten hält er. Das Anfahren läuft gemächlich. So viel Zeit muss sein. Apropos Zeit. Bei Alois herrscht eine andere Zeitrechnung. Seine Uhr zeigt 9.25 Uhr – er ist sechs Stunden vor unserer Zeit.
Beim Abbiegen Richtung Rothenburgsort quietscht Alois. Wir passieren eine Kreuzung und Stefan beginnt zu erzählen, über die Veränderungen des Stadtteils und seine sozial schwächeren Bewohner. Der Stadtteil wurde bei Bombenangriffen 1943 weitgehend zerstört. „Ich glaube hier ist heute noch viel Potenzial“, sagt Stefan. Am Ausschläger Elbdeich biegt Stefan rechts in den Entenwerder Stieg, vorbei am satt-grünen Elbpark Entenwerder. Unter einem Baum finden wir einen schattigen Platz für Alois. Fenster hochkurbeln, Türknopf runter, Tür zu. Nur wenige Meter trennen uns noch vom Café Entenwerder. Auf einem schwimmenden Ponton erwartet uns ein Sammelsurium an buntem Mobiliar. Im Schatten genießen wir Kaffee und Kaltgetränke. Die Rechnung geht auf Waterkant-Touren. Mittlerweile ist eine Stunde vergangen. Die Gruppe kommt ins Gespräch. „Hamburg ist eine wundervolle Stadt“, erzählt Helmuth. Der gebürtige Hamburger ist mit seiner Frau Frieda eine Woche in Hamburg. Im Fernsehen haben sie von der Tour erfahren, „beim nächsten Heimatbesuch fahren wir da mit“, hat Helmuth gesagt. Nun ist es so weit. „Hier bin ich in meinem Leben noch nicht gewesen.“ Stefanie, Dirk und Sohn Julius aus Bramfeld nickend zustimmend.
Der Kaffee ist gut – und ausgetrunken. Weiter geht es: von Rothenburgsort mit 50 Stundenkilometern rasant langsam über die Elbbrücken Richtung Veddel, Georgswerder und Wilhelmsburg. Drei bis vier Touren fährt Stefan in der Woche. Seit September 2015 erzählt der studierte Geograf den Gästen an Bord interessante Anekdoten über die Stadtentwicklung Hamburgs. Gespräche entstehen. Die Gäste fragen, Stefan antwortet. Er weiß alles. Fast. Nur bei der Frage von Stefanie nach der Peute muss er passen. Dafür kann er uns Anekdoten über die Deichschafe und ihre Schäferin auf der Veddel erzählen. Die Meute ist zufrieden. Wir passieren den örtlichen Griechen im idyllischen Kirchdorf und Stefan zeigt uns die historische Windmühle Johanna an der Dove Elbe. Beim Abbiegen auf den Parkplatz am Energiebunker quietschen die Bremsen mit Stefans Holzkugel-Sitzauflage auf dem Ledersitz um die Wette. Die Reifen gewinnen. Alles aussteigen, Fenster schließen, Knopf runter. Stefan fingert noch am Kofferraumschloss herum. Mit viel Geduld kann er Alois‘ Heckklappe öffnen, kühle Getränke verteilen und wieder schließen. Ausgestattet mit angesagten Kaltgetränken regionaler Anbieter blicken wir nach oben.
Vor blauem Himmel erstreckt sich der 1943 als Flakbunker errichtete heutige Energiebunker. Im achten Stock gibt es ein Café, durch das Besuchern der öffentliche Zugang zu diesem historischen Gebäude ermöglicht wird. Doch es hat geschlossen. Wir kommen trotzdem rein. Stefan hat ein Ass im Ärmel, einen Schlüssel in der Tasche, und wir betreten einen Teil Hamburger Geschichte. Es riecht muffig.
„Den Schlüssel haben wir seit einem halben Jahr“, erzählt Jan Schmitt. Mit den Café-Inhabern verstanden sich die Tourguides so gut, dass sie nun jederzeit Zugang bekommen können. Doch sie wollen es nicht übertreiben, achten auf den respektvollen Umgang. Für Schmitt ist es eine Ehre. Für uns auch. Ehrwürdig laufen wir durch enge, fensterlose Gänge zu einem Fahrstuhl, stopfen uns rein, treten kurze Zeit später wieder aus dem Aufzug. Wir sind im achten Stock. Wir haben Zeit zum Verweilen. Wir blicken auf Elbphilharmonie und Michel, Mundsburg bis Mümmelmannsberg. „Und was ist das, und was ist das“, hallt es durch die Luft. Stefan weiß es.
Das Wissen haben sich alle erst aneignen müssen, erzählt Jan Schmitt. Doch keine Frage blieb unbeantwortet. „Ich hab mir ihre Mailadressen geben lassen, und die Antwort nachgereicht“, erzählt er. Der Umgang an Bord ist entspannt, Gespräche entstehen, es wird gelacht, manchmal werden auch Fremde zu Freunden. Heute nicht. Die Teilnehmer sind zu verschieden.
Heute sind wir bis auf das Rentnerpaar aus dem Rheinland alle aus Hamburg. Wir wollen einen anderen Blickwinkel auf unsere Stadt kriegen. Mit Erfolg. Obwohl Stefan auch die negativen Seiten von Wilhelmsburg zeigt, offenbart er uns eine wunderschöne Elbinsel, nicht herausgeputzt und angesagt, wie Eppendorf oder Eimsbüttel, sondern laut und ehrlich, zwischen Arbeitersiedlungen und Zweckbauten, Deichidylle und Landleben, nur drei S-Bahn-Stationen von der Innenstadt entfernt. Es ist auch das Zuhause von unserem Fahrer Stefan. Vielleicht kann er deshalb so ungeschont ehrlich von Sozialdramen und Armut, so liebevoll von Menschen und Kulturangebot erzählen. Vielleicht ist es auch deshalb seine Lieblingsstrecke. Es gibt zwei Waterkant-Touren. Die vierstündige Kompass-Tour entlang der Elbe kostet 49 Euro, die zweieinhalbstündige Lotsen-Tour 39 Euro. Darüber hinaus bietet das Unternehmer-Duo noch individuelle Touren für Firmenevents oder Junggesellenabschiede an. Letzteres ist nicht unbedingt Stefans Liebling, gesteht er.
In Steinwerder juckeln wir über die Kopfsteinpflaster der Nehlstraße. Das Ende naht. Am Südeingang des Alten Elbtunnels halten wir an. Wieder quietscht Alois. „Letzte Woche war das noch nicht so“, sagt Stefan. Helmuth bringt Fachwissen ein. Wir werden beguckt und bestaunt, und das nicht nur wegen der Bremsen. Mit 30 Stundenkilometern heizen wir durch den Alten Elbtunnel, die Reifen schaben immer wieder an der engen Fahrbahn, doch das stört uns nicht. Es fühlt sich gut an. So macht Stadtrundfahrt Spaß.
Mehr Infos im Internet.
www.waterkant-touren.com